Buchtipp vom

Hildegard E. Keller

Was wir scheinen

Auf Augenhöhe mit der Hauptfigur: Der großartige Hannah-Arendt-Roman von Hildegard E. Keller

Es ist sicher ein gewagtes Unternehmen, über die Philosophin und Denkerin Hannah Arendt einen Roman zu schreiben. Um es vorwegzunehmen: Der Schweizer Literaturwissenschaftlerin und Autorin Hildegard E. Keller ist es mit ihrer Romanbiografie gelungen.

Von ihrem Refugium, dem Schweizer Örtchen Tegna aus folgt die Autorin Hannah Arendt in Erinnerungen und Rückblenden erzählend nach New York und Berlin und Paris, nach Rom und Israel. Keller kombiniert gekonnt reale und fiktive Begegnungen und Ereignisse miteinander - und das auf Augenhöhe mit ihrer Hauptfigur. Auf dieser Weise wird Was wir scheinen zu einem sehr intimen, faszinierenden Porträt einer der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhundert, die ihren Platz am liebsten „zwischen den Stühlen“ sah.

Ein zentrales Ereignis im Leben der Hannah Arendt war zweifellos der Eichmann-Prozess. Als Prozessbeobachterin in Jerusalem fasst sie ihre Beobachtungen in einem „Bericht von der Banalität des Bösen“ zusammen. Sie löste damit einen Sturm der Entrüstung bei vielen aus - und gewinnt Zustimmung bei wenigen.

Hildegard E. Keller schildert die Debatte um dieses Buch in teilweise erfundenen Dialogen, sie lässt Freunde und Weggefährten auftreten. Wir treffen Martin Heidegger und Karl Jaspers, Gershom Scholem und Walter Benjamin, ihren Mann Heinrich Blücher, Ingeborg Bachmann und Ex-Ehemann Günther Anders. Wir lernen aber auch eine andere Seite der Hannah Arendt kennen - die feinfühlige, begnadete Lyrikerin. Keller zitiert viele dieser Gedichte und hat als Titel ihres Buches die Verszeile „Was wir scheinen“ gewählt.

„Sich selbst sein, das ist das ganze Leben.“ hat der Lebensfreund Karl Jaspers seiner Hannah einmal geschrieben. Sich selbst sein - es war auch ihr ganzes Leben. Ein Leben, das Hildegard E. Keller in ihrer Romanbiografie auf überzeugende Weise beschrieben hat.

(Eine Buchempfehlung von Günter Nawe)

Was wir scheinen
Hildegard E. Keller
Eichborn Verlag, 576 S., 24,- €

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