Buchtipp vom

Von der Liebe zwischen einer alten Jungfer und ihrem Papagei: Gustave Flauberts letztes vollendetes Buch "Drei Geschichten"

Flaubert Geschichten

„Ein halbes Jahrhundert lang beneideten die Bürgerinnen von Pont-l’Évèque Madame Aubain um ihre Magd Félicité.“ Bevor die beliebte und geschätzte Félicité in den Dienst von Madame Aubain eingetreten ist, hatte sie eine unglückliche Liebesgeschichte durchlebt. Jetzt schenkte sie ihre Liebe den beiden Kindern Paul und Virginie. Doch die Tochter des Hauses Virginie stirbt an Lungenentzündung und Paul verlässt frühzeitig das Haus. Bleibt für Félicité nur noch der Neffe Victor, der ihr ans Herz gewachsen ist und dem sie ihre ganze Zuneigung schenkt. Aber auch er „verlässt“ sie. Am Ende ist der Papagei Loulou ihr „Lebenspartner“. Als er irgendwann das Zeitliche segnet, wird er ausgestopft und dient bei einer Fronleichnamsprozession auf dem Altar als quasi religiöse Ikone.

Eine eigentlich recht banale Erzählung, wäre der Autor der Geschichte Ein schlichtes Herz nicht Gustave Flaubert (1821-1880), französischer Schriftsteller von Weltgeltung und Verfasser der Romane Madame Bovary und L’Education sentimentale. Er gilt als einer der besten Stilisten nicht nur der französischen Literatur, sondern als Begründer und gleichzeitig Klassiker des modernen Romans.

Ein großer Erfolg wurde dann sofort auch die schon genannte, sehr anrührenden Erzählung Ein schlichtes Herz, die Gustave Flaubert zusammen mit den Erzählungen Die Legende vom heiligen Julian dem Gastfreien und Herodias unter dem Titel Drei Geschichten (Trois Contes) 1877 als sein letztes vollendetes Werk veröffentlicht hat.

Jetzt sind diese Drei Geschichten in einer Neuübersetzung von Elisabeth Edl erschienen - sicher in Zusammenhang mit der Rolle Frankreichs als Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse. Elisabeth Edl also, vor wenigen Jahren regelrecht berühmt geworden durch die grandiose Übersetzung der Madame Bovary und von der Kritik gern alsMeisterin ihres Fachs“ bezeichnet.

So ist die Lektüre dieser Drei Geschichten im Range eines Meisterwerks ein pures Vergnügen. Nicht nur rührt die Erzählung über die Magd Félicité an, auch Julian, Protagonist der Erzählung Die Legende vom heiligen Julian dem Gastfreien, bei seiner Geburt sowohl zum Heiligen als auch zum Kriegsmann bestimmt, weckt Interesse. Dieser Julian ist jedoch erst einmal alles andere als ein Heiliger. Bereits als Kind weist er Züge von Grausamkeit auf, wird später ein besessener Jäger, der wahllos Tiere tötet, bis er von einem Hirschen verflucht wird. Er heiratet in eine kaiserliche Familie ein und ermordet gemäß der Prophezeiung in einem Anfall von Eifersucht seine Eltern. Reuig wendet er sich danach von der Welt des Wohllebens und des Luxus ab und wird Fährmann. Jesus, der ihm in Gestalt eines Aussätzigen erscheint, erbittet von ihm Gastfreundschaft und weitere Dienste und wird ihn am Ende von Fluch und Sünden erlösen.

Der Geschichte dieses seltsamen Heiligen folgt die Geschichte eines anderen Heiligen: Johannes des Täufers. Flaubert erzählt die Fabel vom Tode des Täufers. Allerdings aus der Perspektive des Herodes Antipas. Der versucht die Liebe seiner Frau Salome zurückzugewinnen, indem er ihrer Forderung - bekräftigt durch ihren verführerischen Tanz - nach dem Kopf des Johannes nachkommt. Im Mittelpunkt der Erzählung steht die große und beeindruckende Strafpredigt des Johannes, der mit ihr und durch sie sowohl den Statthalter Herodes als auch seine Frau Herodias bloßstellt. Damit ist sein Todesurteil gefällt.

So unterschiedlich die drei Erzählungen und ihre unterschiedlichen und unvergesslichen Gestalten sind, ähneln sie doch einer literarischen Symphonie in drei Sätzen, glänzend durchkomponiert und ausgeführt. Noch einmal zeigt sich die ganze Meisterschaft des Gustave Flaubert. Was aber so leicht, so einfühlsam und perfekt daherkommt, war langjährige Mühe und Arbeit, unterbrochen von depressiven Phasen, vom Studium vieler Bücher; kurz „ich arbeite wie ein Besessener“. So schreibt Flaubert zum Beispiel an Caroline Commanville: „Gestern um 1 in der Nacht habe ich mein Schlichtes Herz vollendet…Jetzt spüre ich meine Müdigkeit, ich schnaufe, in Atemnot wie ein dicker Ochse…“ und an Edma Roger des Genettes: „Diese Herodias-Geschichte flößt mir biblischen Bammel ein…“. Ein äußerst mühevoller Schaffensprozess, dem sich der Autor also - wie eigentlich sein ganzes Leben lang - unterzieht.

Dieser Schaffensprozess ist bestens dokumentiert und interpretiert nicht nur in den anhängenden Briefen zum Werk, die Flaubert unter anderem mit Georges Sand, Émile Zola, Iwan Turgenjew, Guy de Maupassant und anderen gewechselt hat, sondern in dem ausführlichen und kenntnisreichen Nachwortder Übersetzerin Elisabeth Edl, die gleichzeitig die Herausgeberin dieses Buches ist. Der Dreiklang von Werk, Korrespondenz und Nachwort machen dieses Buch, diese wunderschöne Ausgabe, deshalb zu etwas ganz Besonderem.

© Günter Nawe

Gustav Flaubert, Drei Geschichten. Carl Hanser Verlag, 288 S., 28,- €

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