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Vom „Siebengesang des Todes“. Rüdiger Görner über Georg Trakl und sein „Todeslebenswerk“

Görner Trakl

Georg Trakl – einer der faszinierendsten und rätselhaftesten Dichter der frühen Moderne, der in einer Reihe mit Hugo von Hofmannsthal und Stefan George, Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler zu nennen ist, „verwandt" unter anderen mit Dichtern und Schriftstellern wie Rimbaud, Verlaine, Dostojewski und Nietzsche. Ein Dichter, ein Poète maudit, der ein Leben im Unmaß gelebt hat. Ein Leben, das am 3. Februar 1887 in Salzburg begann und das am 3. November 1914, drei Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in einem Militärspital in Krakau durch eine Überdosis Kokain ein Ende fand. Ein Leben, das freudlos und weitestgehend ereignislos „zwischen Salzburg, Wien und Innsbruck" verlief; ein Leben, das eigentlich, so Stephan Hermlin, „nicht lebbar" war. Dennoch: Georg Trakl war gierig nach Leben – und wusste es aber nicht zu leben.

Zu diesem „nicht lebbaren" Leben gehören Trakls Herkunft und Elternhaus, seine Freundschaft mit dem Mitschüler Buschbeck und dem „Brenner"-Herausgeber Ludwig von Ficker, seine Aufenthalte in Wien und Innsbruck, auch kurz in Venedig, das Schlachtfeld von Grodek in Galizien (1914), das den Dichter zu dem großen, zu seinem letzten Gedicht „Grodek" angeregt hat. Stationen eines Lebens, die Weichselbaum akribisch recherchiert und dokumentiert hat. Görner nimmt in seiner „Werk-Biografie" ausdrücklich und dankbar darauf Bezug.

Wesentlicher als dieses „Leben" war die poetische Existenz des Dichters. Leben und Werk und Existenz und Dichtung sind gerade und besonders bei Georg Trakl eine Einheit. So hat es der Literaturwissenschaftler Rüdiger Görner, Professor für Neuere Deutsche Literatur am Queen Mary College der University of London, gesehen. Seine Trakl-Biografie, eine fundamentale Arbeit, ist eine Annäherung, wie sie überzeugender nicht sein kann. „Die „Herkunftsgeschichte eines Künstlers zu erzählen, lohnt nur, wenn sie nachweislich im Werk von Bedeutung wurde", heißt es beim Biografen Görner. Und das ist ihm gelungen. Die biografischen Brüche in diesem Dichterleben, seine Sucht, die Todessehnsucht, die Georg Trakl sein kurzes Leben lang begleitet haben und in den Gedichten, in seinem „Todeslebenswerk" immer wieder mitklingen, die innige und nahezu inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester – Rüdiger Görner beschreibt sie in seiner Studie von höchstem philologischem Anspruch und dennoch guter Lesbarkeit mit größter Detailgenauigkeit.

Die Beziehung zu seiner Schwester Grete, dem „geliebten kleinen Dämon" – eines der größten Geheimnisse in Trakls Leben. Es gab diese „Nähe" zur Schwester, von „Gedankensünde" ist die Rede; er hat sie zwar in Verbindung mit Drogen gebracht. Aber ein vollzogener Inzest? Es gibt dafür keine Beweise. Und so belässt es auch Rüdiger Görner bei dem einen Wort „vermeintlich" – was immer man aus seinen Gedichten da und dort herauszulesen vermag.

Das Werk: Das sind im Wesentlichen die Gedichte, der Zyklus" „Sebastian im Traum" („Der Herbst des Einsamen", „Siebengesang des Todes", „Gesang des Abgeschiedenen", „Traum und Umnachtung"), zwei kleine Dramen, ein paar Stücke Prosa und eine wenige Briefe.

Trakls Gedichte - Ludwig Wittgenstein schrieb über sie: „Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich." Das gilt auch für den heutigen Leser, dem allerdings das Verständnis der Gedichte ein wenig leichter gemacht wird - dank Görners Biographie. Seine literaturwissenschaftliche Einordnung: „Trakl fällt aus nahezu allen Rahmen; es ist schwer, ihn einzuordnen. War er ein unzeitgemäßer Barockdichter oder impressionistischer Expressionist? Bewegte er sich auf das Surreale, Absurde zu?". Letztgültige Antworten darauf hat auch Görner nicht – und will sie auch nicht haben. Trakl bleibt rätselhaft. Die Gedichte dieses Sprachmagiers jedenfalls sind voller klanglicher Schönheit, voller wunderbarer poetischer Bilder, aber auch voller düsterer Abgründe, immer wieder finstere Höllentiefen auslotend.

Aber genau dieses Rätselhafte macht ihn so einzigartig und lässt viele Deutungen zu. Rüdiger Görner gelingt es, die Poetik Georg Trakls zu entschlüsseln, die faszinierenden „poetischen Farbwelten" darzustellen, in einer ausführlichen Lyrik-Analyse zu erklären, wie sich das lyrische Ich zwischen den Extremen abgebildet hat, und den „Einfluss" seines Drogenkonsums auf die lyrische Produktion herauszuarbeiten.

In dem Kapitel „Zu Tode dichten" deutet Görner „die Bildlichkeit seiner Gedichte als piktorales Wissen im Grenzbereich von Bewusstem und Unbewusstem"; er schreibt von „Traumbildern und Gesichten", aus denen „poetische Bilder des Todes" entstanden sind.

Ein Beispiel aus dem Salzburg-Gedicht „Die schöne Stadt", eine Wendung, die Görner ausführlich interpretiert hat:

„Aus den braun erhellten Kirchen / Schaun des Todes reine Bilder". Todesverfallenheit allenthalben – so in dem Sonett „Afra": Und „Ein Kind mit braunem Haar. Gebet und Amen / Verdunkeln still die abendliche Kühle / Und Afras Lächeln rot in gelbem Rahmen / Von Sonnenblumen, Angst und grauer Schwüle.... Verfaulte Früchte fallen von den Zweigen; / Unsäglich ist der Vögel Flug, Begegnung / Mit Sterbenden; dem folgen dunkle Jahre."

Trakl war ein Tabubrecher. Seine Sucht war sprichwörtlich. Auch hier nicht Maß, sondern Unmaß – bis hin zum Tode. Eine beabsichtigte Selbstzerstörung? „Ich fühle mich fast schon jenseits der Welt". schrieb er an seinen Freund und Förderer Ludwig von Ficker.

„Grodek" – sein Vermächtnis? Dieses letzte seiner durchweg enigmatischen Gedichte steht unter dem Eindruck des Krieges, des Todes. „Am Abend tönen die herbstlichen Wälder / Von tödlichen Waffen... / ... umfängt die Nacht / Sterbende Krieger, die wilde Klage / Ihrer zerbrochenen Münder... / Alle Straßen münden in schwarzer Verwesung. /.....". Auch seine, des Dichters, Lebensstraße – freiwillig oder nicht.

Wenn wir also nach dem großen Gedenktag am 3. November 2014 nun am 3. Februar 2015 des Geburtstags dieses Dichters gedenken, sollten wir dies natürlich mit der Lektüre seiner Gedichte tun, aber auch mit der Lektüre der großartigen Biographie von Rüdiger Görner. Sie hat das Zeug zu einem Standardwerk.

© Günter Nawe

Rüdiger Görner, "Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme". Zsolnay Verlag, 352 S., 24,90 €

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