Buchtipp vom

Volker Weidermann, „Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft.“

Dichter auf der Flucht. Der junge Greis und die lebensfrohe Trinkerin.
Weidermann Ostende
Volker Weidermann: „Ostende“
Kiepenheuer & Witsch
160 S., 17,99 €

„Jede Freundschaft mit mir ist verderblich", hat Joseph Roth an Stefan Zweig geschrieben. Es ist einer von den Sätzen, die auf besondere Weise die Freundschaft dieser beiden Ausnahmeschriftsteller kennzeichnet: die Freundschaft zwischen dem eleganten und kultivierten Stefan Zweig und dem begnadeten, notorischen Trinker Joseph Roth.

Aber nicht nur diese beiden Autoren haben sich im Sommer 1936 im belgischen Badeort Ostende, im Zufluchtsort einer kleinen Exilgemeinschaft aus Deutschland und Österreich, getroffen. Auch die Kölner Autorin Irmgard Keun kam und Hermann Kesten. Egon Erwin Kisch mit seiner Frau, Alfred Kerr und viele andere. Sie alle waren Menschen auf der Flucht, die in dieser Urlaubsidylle zusammenkamen: 1936 – in einem Sommer der Freundschaft, bevor sie sich, bevor die Zeitumstände sie in alle Winde zerstreuten. Sie alle waren Dichter auf der Flucht. Noch einmal so etwas wie ein unbeschwertes Leben: „Die Sonne, das Meer, Drachen in der Luft, Badegäste aus aller Welt, ein sich langsam leerender Strand" – eine schöne, eine bedrückende Szenerie, ein Sommer der Freundschaft. Der letzte.

Dieser Freundschaft und der kleinen Exilgemeinschaft widmet Volker Weidermann sein beeindruckendes und auf seine Art bezauberndes Buch „Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft". Der Autor, Feuilletonchef der F.A.Z., und u. a. Verfasser einer hochgelobten Max Frisch-Biographie, zeigt sich als ein Meister im fiktiven Umgang mit Fakten. Und das belegt dieses Buch hervorragend.

So lesen wir mit Vergnügen und mit großer Empathie von einer Freundschaft, die sich unter den besonderen Umständen des Exils beweisen muss. Lange schon sind Stefan Zweig und Joseph Roth, die unterschiedlicher nicht sein können, befreundet. Viele Briefe haben sie sich schon geschrieben – eine bewundernde und zornige, sorgenvolle und fordernde Korrespondenz. Immer wieder hat der reiche Stefan Zweig den armen Joseph Roth mit Geld unterstützt. Joseph Roth dagegen hat dem Autor Zweig so manche Idee geliefert und sein Werk kritisch begleitet.

Volker Weidermann beschreibt dieses Verhältnis auf eine sehr anrührende Weise, ja beinahe liebevoll, denn zweifellos gehört seine Sympathie diesen beiden Protagonisten seines Buches. Dabei erweist sich Weidermann nicht nur als kenntnisreicher Chronist dieses Sommers 1936 in Ostende. Das Buch hat wunderbar erzählerische, literarische Qualitäten. Sehr genau trifft der Autor die Stimmung jener Zeit und der Menschen, die sie erleben, wenn er diesen herrlichen Sommer in Ostende am Rande eines drohenden Abgrunds schildert. Und so liegt über allen und allem ein Hauch von Melancholie, von Angst und Verzweiflung.

Eine Verzweiflung, die sich in langen politischen Auseinandersetzungen zwischen den vor allen linksorientierten „Sommergästen" Kisch, Münzenberg, Toller und Kerr dokumentierte. Sie alle machen sich Sorgen - um sich selbst, aber auch über die politischen Entwicklungen in Europa, um den Faschismus, der sie und die Welt bedroht. Sie diskutieren politische Utopien, träumen sozialen und revolutionären Ideen nach und entwerfen Pläne, wie sie am Leben bleiben können. Direkt und indirekt, und von Volker Weidermann in dankenswerter Weise erwähnt, betrifft dies auch andere, viele Autoren wie Annette Kolb etwa und Soma Morgenstern und weitere.

Und natürlich im Besonderen Irmgard Keun und Joseph Roth. Es war eine amour fou, eine coup de foudre. Er verliebt sich ein letztes Mal in seinem Leben, Und die junge leidenschaftliche Schriftstellerin, die eigentlich bloß wegwollte aus dem Land, in dem Bücher verbrannt wurden: sie waren sich nur in der Liebe einig, sondern auch in nach und nach exzessivem Trinken. Und „Nachts, wenn sie nebeneinanderliegen, wühlt er manchmal tief, ganz tief die Hände in ihre Haare hinein, wie aus Angst, dass sie plötzlich verschwinden könnte, in der Dunkelheit.... Und am Morgen, nachdem sie ihre Haare langsam aus seinen schmalen weißen Händen befreit hatte, hält sie seinen Kopf, wenn er sich übergeben muss, stundenlang." „Fast zwei Jahre lang waren sie das sonderbarste Paar der Emigration gewesen, der junge Greis und die weise Weltdame, der heillose Trinker und die lebensfrohe Trinkerin, zwei Kämpfer gegen den Untergang, gegen den der Welt und bald gegen den eigenen." Dann der Abschied: „Es war wie immer. Es war das Ende".

Auch des Sommers in Ostende. Die Sommerfrischler im Exil zerstreuten sich in alle Winde. Stefan Zweig und Joseph Roth sollten sich nicht wiedersehen. Geblieben ist die Erinnerung. Geblieben ist das Buch Joseph Roths aus dieser Zeit „Die Legende vom Heiligen Trinker". Bleiben wird das Buch von Volker Weidermann als ein wunderbares literarisches Zeugnis über die Zeit der Emigration und einige ihrer prominentesten Vertreter.

© Günter Nawe

Volker Weidermann: „Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft“
Kiepenheuer & Witsch, 160 S., 17,99 €

Volker Weidermann: „Ostende“
Kiepenheuer & Witsch, 160 S., 17,99 €

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