Buchtipp vom

Louise Kennedy

Übertretung

Ihren unverkennbar irischen Namen empfindet die Hauptperson als Belastung. Cushla lebt als Lehrerin in Belfast zur Zeit des Nordirlandkonflikts. 1975 erlebt das Land eine heiße Phase extremistischer Anschläge und harter Maßnahmen der Sicherheitskräfte. Der Alltag ist geprägt von der Zugehörigkeit zu den Konfliktgruppen. Jede Beziehung über konfessionelle und soziale Grenzen hinweg ist riskant, erst recht die intensive Affäre, die Cushla widerfährt. Daraus entwickelt sich ein Liebesroman über einige Monate, der eindrücklich die politisch-gesellschaftlichen Umstände reflektiert.


Die junge Frau arbeitet an einer katholischen Schule. In der Freizeit unterstützt sie ihren Bruder am Tresen in der Gastwirtschaft der Familie. Ihre Mutter ist meistens betrunken und arbeitsunfähig, in nüchternem Zustand aber liebenswürdig und pragmatisch. Wie eine Insel liegt der Pub in einem protestantischen Stadtviertel und die Familie ist gezwungen, sich unauffällig zu verhalten. Das wird schwierig, als Cushla eine Beziehung mit dem älteren Michael eingeht, der verheiratet ist und zudem Protestant. Als Anwalt ist er tief in die politischen troubles involviert und verkehrt weltläufig in der kulturellen Oberschicht der Stadt. Hier ist man britisch orientiert und schätzt Irisches als Folklore oder aus sozialen Motiven.


Das Setting wirkt düster, es kann nur tragisch enden… Aber die Autorin belebt es mit vielschichtigen Charakteren und der glaubwürdigen Dynamik der Liebesgeschichte. Besonders in der Schule gelingen ihr unterhaltsame kleine Sozialstudien. Eine knappe Rahmenhandlung verbindet die Vergangenheit mit heute (im Roman 2015). So wird klar: eine Geschichte endet nicht einfach. Und aus der Gegenwart projizieren wir auch ein neues Licht auf die Vergangenheit.


(M. Kroczek)

Steidl Verlag, 320 S., 25,- €

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