Buchtipp vom

Ralf Rothmann: Im Frühling sterben

Keinen Frieden mehr – nirgends: Ralf Rothmanns beeindruckender Antikriegsroman
Rothmann Frühling

Dieser Roman ist ein Phänomen. Schon allein deshalb, weil Kritik und Leser ihn mit nahezu einhelliger Begeisterung aufgenommen haben. Etwas, was in der gegenwärtigen Literatur eher selten ist. Dabei handelt es sich um einen Roman über den letzten Krieg; ein Thema, das in der deutschen Literatur – und nicht nur in der deutschen – schon fast inflationär behandelt worden ist und wird.

Was hat es also mit dem Roman „Im Frühling sterben" von Ralf Rothmann auf sich, mit einem Buch, das nun auch zu unserem „Buch des Monats" wurde? „Im Frühling sterben" ist ein Buch über den Krieg, wie er abscheulicher nicht sein kann. Ein Stoff aus vergangener Zeit also, der immer noch höchst präsent und immer wieder für die nächsten Generationen ein Trauma sein wird. Es ist ein Buch voller Dissonanzen, grauenvoll schrecklich und fast immer an der Grenze des Erträglichen. „Im Frühling sterben" ist ein Antikriegsroman der besonderen Art.

Rothmann erzählt von seinem Vater, der „eine verlorene Generation des vorigen Jahrhunderts" verkörperte, von einem Vater, der schweigt – wie es viele Väter dieser Generation getan haben. Diese autobiografisch gefärbte Rahmenerzählung führt dann hin zur Binnenerzählung, einer literarisch gängigen Methode, von Ralf Rothmann, der uns immer wieder mit wenigen, aber ganz besonderen Büchern beschenkt, vollendet ausgeführt.

Rothmann erzählt und führt so zu einer subtilen Auseinandersetzung um das Thema „Schuld – Nichtschuld": Er erzählt die Geschichte von Walter Urban und „Fiete" Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland. Sie werden im letzten Kriegsjahr, also 1945, von der SS zwangsrekrutiert. Walter wird als Fahrer in einer Versorgungseinheit eingesetzt, während Fiete an die Front muss. (Vergleiche mit der SS-Zugehörigkeit des jungen Günter Grass verbieten sich an dieser Stelle.)

Hier erleben die beiden Jugendfreunde die Schrecken des Krieges, seine Grausamkeit, die Trecks, Schwerverwundete und Sterbende. Gejagt von den Feldjägern, die gegen die kriegsmüden Soldaten ihren eigenen Kampf führen, sehen sie „auch an anderen Bäumen oder Pfählen in der Ebene ... junge Soldaten mit groß beschrifteten Schildern" hängen.... „Kaum einer trug noch Stiefel, und die Füße, wenn nah über dem Boden, waren angenagt bis auf die Knochen." Blut fließt auf den Straßen, Juden sind auf dem Todesmarsch in die KZ – das Elend scheint unbeschreiblich zu sein. Unwillkürlich fühlt sich der Leser an Claude Simon („Die Straße in Flandern"), an W. G. Sebald, an Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues") und andere Autoren erinnert, die über ähnliche Albträume zu berichten wussten.

Doch hat Rothmann einen sehr eigenen Ton gefunden, um die Schrecken, die Erbarmungslosigkeit zu schildern – und hat so einen der bedeutendsten Romane der deutschen Literatur geschrieben: voller Empathie und mit einem Hauch von Melancholie, ergreifend und bedrückend. Es ist eine atmosphärisch dichte Erzählung, meisterhaft in der sensiblen Schilderung und äußerst genau, von den letzten Monaten dieses grausamen Krieges und den traumatischen Folgen für die nächste Generation.

„Im Frühling sterben" ist auch ein Buch der Freundschaft; einer Freundschaft, die auf eine harte Probe gestellt wird. Während sich Walter mehr oder weniger geschickt durch das Kriegsgeschehen laviert hat, wird Fiete als Deserteur gefasst und zum Tode durch Erschießen verurteilt. Noch versucht Walter seinen Freund zu retten. Doch das System ist gnadenlos. Nicht nur kann Walter nichts mehr für seinen Freund tun, er wird selbst dazu verurteilt, das Urteil an seinem Freund zu vollstrecken: als Mitglied im Erschießungs-Peloton.

Fiete ist tot. Was ist jedoch mit Walter, der mit seinen seelischen und körperlichen Verletzungen, mit seiner Schuld weiterleben muss? Es gibt keinen Frieden mehr für Walter – nirgends. Dennoch gibt es noch eine zarte, wunderbare kleine Liebesgeschichte zwischen Walter und Elisabeth, beinahe spröde geschildert. Und die Schlussszene dieses wunderbaren Romans spielt auf einem Friedhof, auf dem der Autor das Grab seines Vaters sucht. Welch ein Bild!

© Günter Nawe

Ralf Rothmann, Im Frühling sterben. Suhrkamp Verlag, 234 S., 19,95 €

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