Buchtipp vom

Michail Bulgakow: „Meister und Margarita“

Dämmerstunde am Patriarchenteich
Bulgakow Meister
Michail Bulgakow: „Meister und Margarita“
Galiani Verlag
601 S., 29,99 €

„Es war Frühling. Eine heiße Dämmerstunde am Patriarchenteich…“ So beginnt einer der bedeutendsten Romane der Weltliteratur. „Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow ist ein Jahrhundertroman: eine allegorische, phantasievolle und satirische Schilderung der stalinistischen Zeit und der sowjetischen Gesellschaft im Moskau der 30er Jahre. Und er ist – wie der Übersetzter Alexander Nitzberg schreibt: „ein Schlüsseltext der Moderne“

Am Patriarchenteich trafen sie sich: Woland, die Inkarnation des Satans und seine Gefährten, sowie der Kulturredakteur und Kritiker Berlioz und der Lyriker Iwan Besdomny. Sie diskutieren die Existenz Gottes. Berlioz verliert darüber im wörtlichen Sinne seinen Kopf. Und die faustische Figur des Woland und seiner teuflischen Genossen sorgen fortan für Unruhe.  Dieser Woland gehört übrigens zu den Teufeln, die das Böse wollen, um letztlich Gutes zu schaffen.

Ungeheure Dinge geschehen. Menschen verschwinden, magische Momente sorgen für unliebsame Überraschungen. Der Kulturbetrieb, konzentriert im Schriftstellerhaus Gribojedow, wird auf satirische Weise aufs Korn genommen; der sowjetische Alltag – geprägt von Korruption, Günstlingswirtschaft, Bürokratismus, Bespitzelung und Überwachung - wird ebenso thematisiert wie menschliche Schwächen und Duckmäusertum.

Bulgakow hat dafür eine Fülle von allegorischen Bildern und realistischen  Beschreibungen gefunden, von teuflischen Einfällen und  irrwitzigen Plots. Wohnungen verwandeln sich, ein Irrenhaus wird zum Asyl, ein Satansball im Stile einer Walpurgisnacht findet statt. Und überall und immer allgegenwärtig agierend der satanische Woland, sein Gehilfe Korowjew und nicht zuletzt Behemot, der katerartige Mensch oder menschenähnliche Kater. Ein höllisches Personal.

Auf einer sozusagen zweiten Ebene dieses komplexen Romans, in diesem Wirrwarr von phantastischen Ereignissen, spielt sich eine Liebesgeschichte ab -  zwischen einem Schriftsteller, der nur „Meister“ genannt wird, und Margarita. Die verheiratete und etwas frustrierte Margarita liebt den Schriftsteller, der im Irrenhaus sitzt, und versucht ihn zu befreien. Dazu ist ihr jedes Mittel recht, auch die Verwandlung durch den Satan in eine Hexe. Ein Pärchen à la Gretchen und Faust.

Eine dritte Dimension dieses Buches ist der Pilatus-Roman. Der namenlose Autor, also der „Meister“,  erzählt die Geschichte von Verurteilung und Tod des Jesus von Nazareth und dessen „Gegenspieler“ Pilatus, römischer Prokurator. Zeitbezüge, in einem politisch-kritischen Unterton, werden durch Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Jesus und Pilatus sehr deutlich.

Dass ein solcher Roman den Machthabern in der Sowjetunion nicht gefallen konnte, war zu erwarten. Nicht nur aus poltischen Gründen. „Auf dem weiten Feld der Literatur war ich in der UdSSR der einzige literarische Wolf. Man gab mir den Rat, mir den Pelz zu färben. Ein törichter Rat.“, so Bulgakow. Deshalb nicht verwunderlich: Erst 26 Jahre nach dem Tode von Michail Bulgakow, der den Roman in zwölf Jahren, zwischen 1928 und 1940, seinem Todesjahr, verfasst hatte, konnte das Buch unzensiert in der Sowjetunion erscheinen.

Wenn der Leser jetzt sagt: Haben wir doch alles in der wunderbaren Übersetzung durch Thomas Rechke schon gelesen – hat er Recht. Das war allerdings vor fast fünfzig Jahren. Und wir erleben es in der letzten Zeit sehr häufig, dass mit einer Neuübersetzung, sei die alte noch so gut, ein neues Verständnis des jeweiligen Werks entsteht.

Für „Meister und Margarita“ heißt das, eine neue Lesart – jenseits der rein politischen. Alexander Nitzberg hat, wie er den Anmerkungen schreibt, die „poetische“ Lesart möglich gemacht. Denn dieser Roman ist – so Nitzberg – „ein grandioses episches Sprachkunstwerk, ein Großstadtpoem in Geiste der Moderne“. Unter dieser Prämisse hat Alexander Nitzberg übersetzt. Denn für ihn gilt, dass er sich dabei sowohl „dem Text des Werks“ als auch dem „Geist des Werks“ verpflichtet fühlte.

So ist seine Übersetzung direkter und damit zeitgemäßer. Ohne grundlegende Eingriffe in den Bulgakowschen Text hat Nitzberg das eine und andere geglättet, hat dem Text einen neuen, einen anderen sprachlichen Rhythmus gegeben. Und er hat  - der Roman ist ja längst noch nicht ausgedeutet – neue Interpretationsansätze eröffnet.

Hervorzuheben sind ein vorzüglicher und umfassender Anmerkungsapparat und sehr ausführliche „Notizen des Übersetzers“ von Alexander Nitzberg. Beides trägt hervorragend zum Verständnis des Romans bei. Und so ist dieses Buch bei aller Bedeutungsschwere und Ernsthaftigkeit auch ein satanisches Lesevergnügen. Deshalb fordert Felicitas Hoppe in ihrem Nachwort auf: „Leser, mir nach.“  Eine Aufforderung, den faszinierenden Roman von Michail Bulgakow zu lesen, der wir uns gern anschließen.

© Günter Nawe

Michail Bulgakow: „Meister und Margarita“
Galiani Verlag, 601 Seiten mit Fotos, 29,99 €

Michail Bulgakow: „Meister und Margarita“
Galiani Verlag, 601 S., 29,99 €

Bulgakow Meister

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