Buchtipp vom

Hoftaschenspieler und Lustiger Rat: Hans Joachim Schädlich über das Leben zweier Narren

Schädlich Narrenleben

„Ich ernenne dich zum kurfürstlichen-königlichen Hoftaschenspieler und zu meinem Lustigen Rat. Außerdem – zum Bürgermeister von Narrenleben". Ein Edeljob, wenn man so will, der dem Joseph Fröhlich (1694-1757) nicht nur ein gediegenes Auskommen, sondern auch die Gunst des jeweiligen Herrschers garantierte. Und er war der Einzige, der August den Starken duzen durfte. Seine Aufgabe: „Bring mich einmal pro Tag zum Lachen oder zweimal zum Lächeln". Dennoch: Auch er war trotz der bevorzugten Stellung im Grunde nur ein Spielball der sächsischen Kurfürsten und ihrer Entourage - wie alle höfischen Narren.

So auch Peter Prosch (1744-1804), der Zweite der Protagonisten im neuen Roman des Hans Joachim Schädlich. Der Tiroler Prosch, aus ärmsten Verhältnissen stammend, verdingte sich an verschiedenen Fürstenhöfen Süddeutschlands und Österreichs. Im Gegensatz zu Fröhlich war Prosch „ein kleiner vazierender Narr", seiner Kaiserin demutsvoll ergeben. Auch er lernte schnell, dass alle Freundlichkeit, die ihm allenthalben zuteil wurde, immer mit „üblen Streichen" verbunden war. „Die Herren quälen mich zu ihrem Vergnügen. Ich muss mich für ihre Gunst demütigen lassen."

Hans Joachim Schädlich hat eine Art Doppelbiografie vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte geschrieben. Zeitgeschichte – das waren die Auseinandersetzung zwischen Preußen und Sachsen und der Beginn des Siebenjährigen Krieges 1756. Er erzählt das Leben der beiden Narren, die unterschiedlicher nicht sein können und doch so nah verwandt sind.
In seiner großartigen und Aufsehen erregenden Novelle „Sire, ich eile" über Friedrich den Großen und Voltaire hat Schädlich über den Antagonismus von Macht und Geist geschrieben; in diesem kleinen Roman „Narrenleben" schreibt er vom Widerstreit zwischen Macht und Moral.

Peter Fröhlich, einst ein Müllergeselle aus der Steiermark, gerät als Hoftaschenspieler nach Bayreuth und von da an den Dresdner Hof, zu seinem Gönner August I. (der Starke), später auch König von Polen. Hier lernt er sozusagen das Innenleben einer höfischen Residenz im 18. Jahrhundert kennen: die politischen Intrigen, den Klatsch und Tratsch. Er weiß um die Liebschaften und Feindschaften der Herrschenden und muss Demütigungen und Verrat erleben und erleiden. Daneben war er ein liebevoller Familienvater, ein wohltätiger und menschenfreundlicher Mann. Vor allem aber ein selbstbewusster Kopf, dessen Taschenspielertricks, mit denen er eine gelangweilte Gesellschaft bediente, weniger Narretei, denn entlarvender Spott waren.
„Er hatte nichts anderes im Kopf als die Kaiserin, einen Hut voll Geld und ein Häusl.", so wird Peter Prosch charakterisiert. Das „Häusl" sollte er bekommen, eine Familie auch. Er ist ansonsten wesentlich schlechter dran als sein großes Vorbild Joseph Fröhlich. Die Scherze, die die Herrschaften mit ihm zu ihrer Unterhaltung treiben, sind menschenverachtend, grausam und böse. Man will ihm ein Kind unterschieben, man ernennt ihn zum Taufpaten eines Esels, ein falscher Bart wird ihm angeheftet und in Brand gesteckt; und er muss – auf ein Pferd gebunden – einen Höllenritt erleben. So wandert Narr Peter von Hof zu Hof, gedemütigt, der Belustigung preisgegeben. Dennoch: „Je mehr ich ertrage, desto größer ist mein Ertrag."
Zwei Leben in ihrer Zeit, zwei Leben zwischen Abhängigkeit und Selbstachtung. Hans Joachim Schädlich hat mit seiner Doppelbiographie eine wunderbare Parabel darüber geschrieben. Und wie mit der Novelle „Sire, ich eile" ist ihm mit „Narrenleben" auch jetzt wieder ein kleines Meisterwerk und ein Sprachkunstwerk der besonderen Art gelungen. Schädlich verfährt souverän mit den historischen Fakten. Er erzählt anschaulich, lakonisch im Ton und mit knappen, aber treffenden Dialogen, mit Witz und hintergründigem Humor. Dieser Autor ist ein Meister der Beschränkung. Sprache und Inhalt sind bei ihm im Einklang. Fakten und Fiktion ergänzen sich aufs Schönste.
Der 1935 im Vogtland geborene Hams Joachim Schädlich ist eine bedeutende Stimme in der deutschsprachigen Literatur. Der preisgekrönte Autor, der um die Mechanismen der Macht aus leidvoller Erfahrung weiß, bringt diese Erfahrungen immer wieder in sein großartiges Werk ein. So aktuell in den meisterlichen Roman „Narrenleben".

© Günter Nawe

Hans Jochim Schädlich, "Narrenleben". Rowohlt Verlag Reinbek, 176 S., 17,95 €

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