Buchtipp vom

Hanns-Josef Ortheil, "Die Pariser Abende des Roland Barthes"

Die melancholischen Streifzüge des Roland Barthes: Eine Hommage von Hanns-Josef Ortheil
Ortheil Roland Barthes

„Ich habe die rue d’Aboukir ausfindig gemacht und dabei an Charlus gedacht, der darüber spricht; …“ notiert Roland Barthes am 24. August 1979 in seinen Notizen zu „Pariser Abende“.  An vieles Andere hat er auch gedacht bei seinen Spaziergängen – und diese Gedanken sowie seine Erlebnisse in den Pariser Abenden aufgeschrieben.

Und Hanns-Josef Ortheil? Er hat sie – wie wir auch – gelesen und sich auf den Spuren des Zeichendeuters, Kulturtheoretikers und Schriftstellers Roland Barthes begeben.  „Wenn ich durch die geöffnete Tür des Restaurants (Le Bon Saint Pourçain – die Red.) hinausschaue, blicke ich auf die Eingangspforte des direkt gegenüber liegenden Mietshauses Nr. 11 der Rue Servandoni…“. In diesem Haus hat Roland Barthes jahrzehntelang zusammen mit seiner Mutter gewohnt.

Von hier aus hat er seine „melancholischen Streifzüge“ durch Paris unternommen und davon erzählt – in einem Tage- und Nachtbuch mit dem schönen Titel Pariser Abende. Wie gehen mit ihm durch die Straßen wie die rue d’Aboukir, die rue Servandoni, die rue Vaugirard, gehen am Luxembourg vorbei, biegen in die rue Vavin ein. Vom 24. August bis zum 17. September 1979 notierte der Schriftsteller „seine Unternehmungen in der Stadt, in der er seit der Kindheit fast sein Leben lang gelebt hat“.

So sitzt der Leser mit Roland Barthes in Cafés und Restaurants - vorzugsweise im Bofinger, auch gern im Select, im Coupole oder im Restaurant Le Bon Saint Pourçain. Wir erfahren, was er isst und trinkt, wen er trifft. Vor allem junge Männer, die sein Begehren und seine Begierde (längst nicht immer als Erfüllung) hervorrufen. Andere Abende wiederum verbringt er mit intensiver Lektüre - vorwiegend die Pensées von Blaise Pascalund die Mémoires d’outre-tombe von Chateaubriand.

Alles, was Barthes sieht, hört, liest, erlebt wird ihm zum Zeichen, um dessen Deutung er sich bemüht. Es ist das, was sich unter den Mythen des Alltags subsumieren lässt. Und alles wird ihm auch zu wehmütiger Erinnerung, zu schwermütiger Empfindung: „Mir war das Herz schwer vor Traurigkeit, beinahe vor Verzweiflung; ich dachte an Mam, an den Friedhof, auf dem sie lag, nicht weit entfernt, an das ‚Leben’. Ich empfand diese romantische Schwermut als Wert und war traurig, sie nie aussprechen zu können, ‚weil sie immer mehr ist als das, was ich schreibe’“.

Darüber hat nun ein anderer geschrieben: Hanns-Josef Ortheil. Der Kölner Schriftsteller hat Roland Barthes in Herbst 1973 zum ersten Mal gesehen. Er ist ihm so wichtig geworden, wie ihm in vielen Jahren und bei vielen Besuchen Paris wichtig geworden ist. Beide – Roland Barthes und Paris - verbinden sich für Ortheil nun aufs Schönste in dem kleinen Büchlein Die Pariser Abende des Roland Barthes. Die vielen Notate, die er zusammengetragen hat,  sind zum Buch geworden, zu einer wunderbaren Hommage an Roland Barthes, der im letzten November 100 Jahre alt gewesen wäre.

Ortheil bewegt sich auf den Spuren des RB – wie Barthes häufig im Buch benannt wird. „Anhand der Lektüre der Pariser Abende habe ich mich dabei auf den Weg durch das Paris des Roland Barthes gemacht.“ Eine Art der „Hinwendung zu diesem mich prägenden Schriftsteller“. Das hat etwas von Intimität, von Freundschaft. Und in der Tat: hier schreibt ein Freund über einen Freund. Ortheil geht durch die Straßen und über die Plätze, die Barthes gegangen ist; er besucht die Restaurants und Cafés. Er schmeckt Gerichte und Weine nach, die RB gegessen bzw. getrunken haben mag – sich in der Schilderung  immer zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit bewegend. Und immer ergänzt durch Hinweise auf die Bücher des Zeichendeuters: u. a. Mythen des Alltags, Über mich selbst, Der Eiffelturm, Die Lust am Text.

Auch dies eine „Lust am Text“ und pures Lesevergnügen: Der Leser erlebt diese Pariser Abende als kleinen Reiseverführer, hinein in die Stadt Paris, hinein in das Leben des Roland Barthes und in die sehr persönlichen Erinnerungen des Hanns-Josef Ortheil.

© Günter Nawe

Hanns-Josef Ortheil, Die Pariser Abende des Roland Barthes. Eine Hommage. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, 150 S., 18,- €

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