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Einsamkeit und Sehnsucht: Über Carson McCullers und einen großartigen Roman

McCullers Herz

„Mein Leben ist immer einem Muster gefolgt: Arbeit und Liebe.“, so die amerikanische Schriftstellerin Carson McCullers, deren zweifachen Gedenktag wir in diesem Jahre feiern. Vor 100 Jahren, am 19. Februar 1917, ist sie als Lula Carson Smith in Columbia / Georgia geboren und vor 50 Jahren, am 29. September 1967, ist die Autorin in Nyack / New York gestorben.

Frühvollendet? Nein, Carson McCullers war von der ersten Zeile an, die sie geschrieben hat, eine „vollendete“ Schriftstellerin, die schon mit ihrem ersten Roman Das Herz ist ein einsamer Jäger ein Meisterwerk abgeliefert hat. Mit diesem Buch, später mit Spiegelbild im goldnen Auge, Frankie und Uhr ohne Zeiger sowie Die Ballade vom traurigen Café hat sie sich in die erste Riege der amerikanischen und letztlich der Weltliteratur geschrieben. William Faulkner zum Beispiel urteilte über Das Herz ist ein einsamer Jäger: „Für mich gehört ihr Werk zu den besten unserer Zeit“.

Geschrieben wurde dieser Roman in einem Leben, das vom frühen Ruhm, von schweren Krankheiten und persönlichen Beziehungsproblemen geprägt war. Und von Arbeit und Liebe. Liebe zu ihrem Beruf, zu den Menschen überhaupt und zu ihren Figuren, die sie in ihren Büchern auf so einzigartige Art beschrieben hat.

All das findet sich - wenn man parallel zum Werk ihre Autobiographie liest - in ihren Büchern wieder. Aber es geht weit darüber hinaus. Nicht nur spielt die Liebe eine zentrale Rolle, auch die amerikanische Rassenpolitik der dreißiger Jahre, die schmerzhafte Selbstfindung ihrer Figuren, das Ich im Verhältnis zur Welt, die existenzielle Einsamkeit und das Scheitern menschlicher Sehnsüchte. Carson McCullers‘ Werk ist so vielschichtig, wie es nur sein kann. Und das macht diesen Roman, ihre Bücher überhaupt auch heute noch so lesenswert.

Vor allem ist es der Roman Das Herz ist ein einsamer Jäger, der seiner Autorin dauerhaften Ruhm beschert hat. Erschienen ist das Buch 1940; die McCullers war gerade einmal 23 Jahre alt. Der Roman spielt tief im amerikanischen Süden, in einer Kleinstadt im Staate Georgia. Und er erzählt die Geschichte des taubstummen John Singer, bei dem einsame und isolierte Menschen Trost und Zuwendung suchen. So die halbwüchsige Mick, eine Art Alter Ego der Carson McCullers, mit ihrer Liebe zur klassischen Musik; der Säufer Jake Blount, ein Marxist mit der Sehnsucht nach Weltgerechtigkeit; der Caféhaus-Besitzer Biff Brannon, ein verschlossener Mensch mit einer großen Sehnsucht nach Kindern und nicht zuletzt der krebskranke Arzt Dr. Copeland, der sich in Sorge um seine schwarzen Mitbürger verzehrt.

Sie alle sind mehr oder minder „einsame Herzen“, die sich beim taubstummen John Singer einfinden. Er ist der ideale Zuhörer, von dem sie glaubten, dass er sie auch ohne Worte versteht. Von ihm erhofften sie sich Erlösung.

Aber John Singer kann sie ihnen nicht bringen. Selbst leidend unter der Abwesenheit seines geliebten Freundes nimmt er sich nach dessen Tod das Leben. Er ist am Ende gescheitert wie sie alle: Mick und Blount, Brannon und Dr. Copeland - Figuren, die für den Leser unvergesslich sein werden.

Über dem ganzen Roman liegt eine tiefe Traurigkeit und eine große Melancholie. Das macht dieses Buch so anrührend - auch wenn Carson McCullers für den Leser keine wohlfeile hoffnungsfrohe Botschaft hat. Denn: „Alles, was in meinen Romanen und Erzählungen passiert, ist mir selbst passiert oder wird mir irgendwann passieren“. Und das war schlimm genug - und immer mit einem Gefühl für Verzweiflung erlebt.

Ihr Freund Tennessee Williams urteilte über Carson McCullers und über den Roman: „Carsons Herz war oft einsam, und es war ein unermüdlicher Jäger auf der Suche nach Menschen, denen sie es anbieten konnte; aber es war ein Herz, das mit einem Licht gesegnet war, das seine Schatten überstrahlte“.

Ein Satz, der als Motto über dem Roman stehen könnte.

© Günter Nawe

Carson McCullers, Das Herz ist ein einsamer Jäger. Diogenes Verlag, 560 S., 22,90 €

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