Buchtipp vom

James Baldwin

Ein anderes Land

„Verstörung“ ist der Gewinn, den dieses Buch bereithält. Lohnt es sich, dafür einen Roman zu lesen? Ganz sicher, wenn er so unglaublich gut geschrieben ist, wie dieser, erschienen 1962 unter dem Titel Another Country.

Es wurde ein Erfolg für James Baldwin in seiner Heimat USA; fertiggestellt hatte er ihn aber im „freiwilligen“ Exil in Europa (Istanbul!). Dorthin ging er in einer Zeit, als Rassentrennung und Homophobie in Amerika selbstverständlich waren. Dagegen hatte er schon literarisch mutig Stellung bezogen.

 

In seinem Debut Go tell it on the mountain (1953) erzählte er schockierend intensiv von einer (seiner) Jugend in einer „schwarzen“ Kirchengemeinde in New York. Es folgte Giovannis Room, ein expliziter Roman über Homosexualität. Der Protagonist, ein weißer Amerikaner, probt in Paris das Leben, das er zuhause nicht führen kann. Sein italienischer Liebhaber konfrontiert ihn mit der Bigotterie seiner US-amerikanischen Prägung.

 

Die Themen dieser Bücher führt Baldwin in Ein anderes Land virtuos zusammen:

Hautfarbe und Rassismus, amerikanische und europäische Lebensentwürfe, das Ringen um  Selbsterkenntnis und die Unfähigkeit zu lieben. Das gelingt mit lebendigen Charakteren: Schwarze und Weiße, Ehepaare und (Lebens-)Künstler, Suchende und Verzweifelte. Sie alle kämpfen am Schauplatz New York mit den Verhältnissen, mit Hass und Liebe. Daraus entwickelt sich ein erstaunlich vergnüglicher Reigen von ungefähr 3 Paaren; und am Ende etwas Hoffnung – wenigstens für 2 Partner*!

 

Die Verstörung der Lesenden – heute wieder – folgt aus der Wut, die die schwarze Heldin der Geschichte, Ida, artikuliert. Sie richtet sich gerade gegen die Wohlmeinenden (ihren sympathischen italienisch-stämmigen Liebhaber Vivaldo). Ihre Beziehung schildert anschaulich, wie destruktiv der Rassismus auch in der weißen Gesellschaft wirkt. Andere Protagonisten sind homosexuell oder führen bisexuelle Beziehungen, was Baldwin völlig überzeugend schildern kann. Ebenso die psychischen und sozialen Folgen für die Akteure.

 

Baldwins Text hat auch in der Übersetzung eine besondere Wucht. Ein Problem ist aber die Sprache des Rassismus. Denn das Bedeutungsfeld von  „Rasse“, „schwarz“ oder „farbig“ wandelt sich im Amerikanischen und (anders) im Deutschen. Die Übersetzerin löst diese Schwierigkeit mit  hilfreichen Erläuterungen zum Sprachgebrauch.

Und Lesende, die nicht mit dem aktuellen Jargon zu Identitätsfragen vertraut sind, werden durch das Nachwort angenehm aufgeklärt.

 

James Baldwin, Ein anderes Land

Übersetzung: Miriam Mandelkow. Mit einem Nachwort von René Aguigah.

dtv Verlag 2021, 572 Seiten. €25,-

Auch als Hörbuch (ungekürzte Lesung: Christian Brückner). 3 MP3-CDs, €29,95.

 

Ebenfalls in Neuübersetzungen bei dtv, lieferbar als gebundene Ausgaben sowie als Taschenbücher:

–                 Von dieser Welt

–                 Giovannis Zimmer

–                 Beale Street Blues (auch als Film/DVD, 2019) => Besprechung im Archiv (2018)!

–                 Nach der Flut das Feuer. Essays.

 

Über James Baldwin:

I am not your negro (Film/DVD 2017) und „Bücher zum Film“ (in Englisch).

Ein anderes Land
James Baldwin
dtv Verlag, 576 S., 25,- €

zurück