Buchtipp vom

Liao Yiwu

Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs

(Roman)

Liao Yiwu ist bekannt für literarische Reportagen und Essays über das moderne China. 2012 erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er lebt im politischen Exil in Deutschland. Mit „Die Liebe in Zeiten Maos“ legt er jetzt ein Epos über die Geschichte des Landes seit den 1960er Jahren bis in die Gegenwart vor: autobiografisch grundiert und voll von tragischen, grotesken und poetischen Episoden.
Besonders lebendig und vielschichtig ist die Darstellung der Kulturrevolution. Der anfangs noch junge Protagonist Zhuang Zigui ist Aktivist der Roten Garden, Gruppen fanatisierter Jugendlicher, die dem Aufruf Mao Zedongs zur Durchsetzung verschärfter kommunistisch-revolutionärer Ideen folgen. Familien zerbrechen, ganze Bevölkerungsgruppen werden drangsaliert, unzählige Kulturgüter vernichtet. Nach einem politischen Umschwung werden die Roten Garden kaltgestellt und Teile der Stadtjugend als „Gebildete Jugendliche“ zur Umerziehung in abgelegene Provinzen zwangsverschickt.
Zhuang landet in einem Bergdorf. Hier prallen die gegensätzlichen Lebensstile krass aufeinander. Diese Kapitel zeichnen sich durch hohe Komik und die derbe Sprache der „Niederen und armen Bauern“ aus. Korruption und die allgegenwärtigen Propagandaslogans tragen ihren Teil dazu bei. Unser Held ist einerseits ein Getriebener der politischen Verhältnisse; Motor der Handlung sind aber seine romantischen Träume und Visionen - ein wiederkehrendes Stilmittel des Autors. In seiner Heimatstadt Chengdu verliebte er sich in eine junge Aktivistin; sie aber kommt im revolutionären Kampf ums Leben. In den Bergen trifft er wieder auf Yang Dong, eine geheimnisvolle Schöne aus dieser Zeit, der er nach Tibet folgt.
Der „Wilde Westen“ Chinas ist die dritte Station des Romans, geschildert jetzt wie ein Märchen. Die Tibeterin Zhuoma bringt dem Han-Chinesen Zhuang mit Lyrik und Gesang ihre Kultur nahe. Die Politik verwehrt ihnen aber die dauerhafte Gründung einer Familie und die Romanze wird zum Abenteuerroman: Zhuang gelingt mit Yang Dongs Hilfe die Flucht zurück ins „Inland“. Auf einer Zugfahrt erleben sie den Moment, der ihren Schicksale eine erneute Wendung beschert: die röteste, röteste rote Sonne in den Herzen der Völker war untergegangen - in der Überschrift des Kapitels: Der Vorsitzende Mao stirbt bei der Liebe (1976). Ob es beim Urteil der Tibeterin Zhuoma bleibt: „Die Welt der Chinesen ist ohne Liebe“?


(Markus Kroczek)

Liao Yiwu: „Die Liebe in Zeiten Maos“.
Aus dem Chinesischen von Brigitte Höhenrieder u. Hans-Peter Hoffmann.
S. Fischer Verlag 2023, 448. S. € 26,-.

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