Buchtipp vom

Der Weg beginnt an der Mole von Alcântara: Lesend reisen mit Antonio Tabucchi

Tabucchi Reisen

Reisezeit ist bekanntlich auch Lesezeit. Und für diese Zeit empfiehlt sich das Buch eines Autors, in dem sich beide Aktivitäten, das Reisen und das Lesen, auf besondere Weise ergänzen und verbinden: Antonio Tabucchi (1943 - 2012) heißt der Autor und Reisen und andere Reisen sein Buch, von dem hier die Rede sein soll.

Dieser weltgewandte Schriftsteller aus Italien mit seiner besonderen Vorliebe für Portugal, für Lissabon (wo er mehrere Jahre gelebt hat), für den großen Fernando Pessoa und für alles Lusitanische schlechthin, war ein leidenschaftlicher Reisender. Und so wie ihm Literatur eine Passion war, war ihm die Welt, die Welt in seiner Literatur, in seinen Romanen eine Leidenschaft.

Manchmal beginnt der Weg der Reisen symbolisch „an der Mole von Alcântara“  und führt von da aus in die weite Welt, die zugleich die Welt seiner Bücher ist - und in die Bücherwelten anderer Autoren. Mitten hinein nimmt uns Antonio Tabucchi in diese Reise-welten in seinem wunderbaren Buch Reisen und andere Reisen. So geht es nach Portugal – natürlich! – und nach Indien, nach Griechenland und in den Pariser Jardin des Plantes. In Madrid treffen wir Francisco Goya und in Sète Paul Valéry.

„Der einzige Sinn der Reise besteht darin, eine Reise zu sein“, hat Tabucchi im Vorwort zu diesem Buch den griechischen Kollegen Konstantin Kavafis zitiert. Und weiter: „Die Reise ist wie unser Leben, dessen Sinn vor allem darin besteht, dass wir gelebt haben.“ Deshalb sind die Berichte dieser Reisen, die in diesem Buch „dokumentiert“ werden, vergleichbar dem „Kartenwerk der großen Reise“ Leben.

So trifft Tabucchi den Onkel aus Lucca in Singapur zu einem Gespräch. Im Zug reist er nach Florenz; auf dem Wege nach Solothurn liegt Biel, der Geburtsort Robert Walsers, „einem der großen europäischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts“. Ausführlich beschäftigt er sich im Kapitel Oh Portugal mit Lissabon, dem er in seinem Roman Lissabonner Requiem. Eine Halluzination ein wunderbares literarisches Denkmal gesetzt hat. Und der Australien-Reise ist ein ganzes Tagebuch gewidmet.

„Ich muss zugeben, alles in allem bin ich viel gereist“. Mit den meisten Reisen sind „schöne Erinnerungen“ verbunden. Auch mit Reisen Durch die Bücher der anderen: Borges, Stendhal, Drummond de Andrade u. a.. Vielfach sind es „Städte der Sehnsucht“, die auf diese Weise schreibend und lesend besucht werden.

So hat Antonio Tabucchi über Eigenes und Fremdes, Vertrautes und Anvertrautes, über Reales und Imaginäres nachgedacht. Der Leser, der sich ihm anvertraut, ihn auf seinen realen und imaginären Reisen begleitet, wird wunderbare Entdeckungen machen. Und er wird feststellen, wohin auch immer er reist, „Ein Ort ist niemals nur ‚dieser’ Ort. Auch wir sind ein bisschen dieser Ort. In gewisser Weise haben wir ihn in uns getragen, und eines Tages haben wir ihn zufällig erreicht.“

© Günter Nawe

Antonio Tabucchi, Reisen und andere Reisen. Carl Hanser Verlag, 256 S., 19,90 Euro

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