Buchtipp vom

Angela Steidele

Aufklärung

Das Spiel mit den Erwartungen der Leser*innen beginnt schon mit dem Titel: wer vermutet dahinter ein Buch über die Musikerdynastie Bach? Schnell wird klar, wie treffend „Aufklärung“ die Zeit und die Schauplätze des Romans beschreibt. Denn die Kölner Autorin zeigt ein ganzes kulturelles Netzwerk der Epoche mit dem Mittelpunkt Leipzig, dem Zentrum des Verlagswesens, mit einigen Ortswechseln und über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren.

Hier schreibt um das Jahr 1763 die Erzählerin Dorothea, älteste Tochter von Johann Sebastian Bach, ihre Erinnerungen nieder. Es wird eine Hommage an ihre Freundin, die Literatin Luise Gottsched, die „Gottschedin“ im Sprachgebrauch der Zeit. Überhaupt die Sprache! Neben der Musik ein Hauptthema von Angela Steidele, das sie in zahllosen amüsanten Wortspielen und Namensrätseln variiert.

Zum Roman der Epoche wird das Buch durch die eng verbundenen historischen Persönlichkeiten: die weit verzweigte und europaweit bekannte Bach-Familie und den Sprachwissenschaftler und Universitätsprofessor Gottsched, einem Protagonisten der Aufklärung. Sie stehen im Mittelpunkt eines so mobilen wie streitbaren Kreises, der die städtische Gesellschaft mit den Fürstenhöfen verbindet. Besonders unterhaltsame Szenen schildern ihr Zusammentreffen mit dem Preußenkönig Friedrich II. und dem sächsischen Kurfürsten. Gleichzeitig verdeutlichen sie die sozialen und politischen Probleme der Zeit wie die ständigen Kriege.

Dorothea ist – wie alle Mitglieder des Bachischen Haushalts – musikalisch und lutherisch-christlich gebildet. Tatsächlich sind von ihr aber kaum mehr als Name und Lebensdaten überliefert. Viel Raum für Phantasie, den Angela Steidele nutzt, um Aufklärung auch als die Mühen der Emanzipation (und das Alltagsleben!) zu schildern. Uns begegnen weitere eindrückliche Frauenfiguren, wie eine unabhängige Adelige und eine „freiberufliche“ Theatermacherin. Entstanden ist dabei ein ganz heutiger historischer Roman. Genießen können ihn alle, die wenige Takte aus einem Oratorium oder einer Kantate im Ohr haben, und Musikkenner, die mehr über historische Kontexte erfahren möchten.

(M. Kroczek)

Insel Verlag, 603 S., 25,- Euro

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